„Häufig schämen sich Familien zu fragen“ – ARCHE-Leiter Tobias Lucht über die steigende Not in der Stadt
Die materiellen Verhältnisse vieler Menschen haben sich dramatisch verschlechtert – auch als Folge der Pandemie, des Ukraine-Kriegs und der steigenden Inflation. Besonders hart trifft es Familien. Immer mehr von ihnen suchen Hilfe in den ARCHEN. Der Freundeskreis befragte Tobias Lucht, den Leiter der Hamburger ARCHEN zur aktuellen Lage.
Hohe Inflation und steigende Gaspreise treffen benachteiligte Familien besonders hart. Inwieweit ist das in der ARCHE schon spürbar?
Tobias Lucht: Es kommen seit März diesen Jahres viele Kinder und Jugendliche zusätzlich in unsere Einrichtungen, die bewusst an den Essensangeboten teilnehmen. Also unserem Mittagstisch und dem Abendessen. Viele essen sich da einmal am Tag so richtig satt, weil die Mittel zu Hause knapp sind. Wir haben so im Juli schon durch die erhöhten Besucherzahlen und auch die für uns gestiegenen Preise das Jahresbudget für 2022 erschöpft gehabt. Daran und z.B. auch daran, dass Kinder vermehrt nach Kleidung, Schuhen und auch Schulmaterialien fragen, spüren wir, dass sich die Situation für viele Familien verschärft.
Gibt es zunehmend Familien mit deutlicher Existenzangst?
Tobias Lucht: Viele Eltern, vor allem Alleinerziehende, wenden sich an uns mit der Frage, ob wir mit Lebensmitteln für zu Hause aushelfen können. Woche für Woche schnüren wir daher Lebensmittelpakete für bestimmte Familien, bei denen wir Einblick in die Einkommenssituation haben. Es sind hier wöchentlich neue Familien dabei, die sich häufig schämen zu fragen. Sie schildern auch, dass die Lebensmittelausgabestellen in Hamburg sie nicht mehr aufnehmen. Der Blick in die Zukunft ist daher oft mit Ängsten verbunden.
Wie könnte man ihnen diese nehmen?
Tobias Lucht: Hier ist es wichtig, ansprechbar und vor Ort zu sein und zunächst unkompliziert und schnell mit Nothilfe zu helfen. Dann kommt es aber darauf an, auch eine langfristige Strategie mit Eltern zu erarbeiten. Wo können sie sparen, wie können sie kreativ die zur Verfügung stehenden Mittel einsetzen, welche Rolle spielen auch unsere Mahlzeiten für Kinder für diese Familien? Das sind oft wichtige Gespräche. Die wir verbinden mit der Aussage: Wir hören dich, wir machen uns gemeinsam auf den Weg, wir schaffen das! Hier entsteht wieder neue Hoffnung.
Womit rechnet ihr in den kommenden Monaten? Und wie bereitet ihr euch in der ARCHE darauf vor?
Tobias Lucht: Naja, wir sind hier ja schon mittendrin in den Veränderungen – so haben wir schon unsere Mahlzeiten hochgefahren und suchen einfach weitere Unterstützer. Menschen, die dafür und für Nothilfe bereit sind – ob finanzieller Hilfe oder in Form von Sachspenden. Aber wir rechnen damit, dass sich die Situation im Winter noch einmal verschärfen wird. Die Preise werden wahrscheinlich noch einmal steigen, und die beschlossenen Maßnahmen wie Steuererleichterungen kommen häufig nicht an bei Familien, die von Hartz IV leben.
Was wird in der angespannten Lage besonders dringend benötigt?
Tobias Lucht: Haltbare Lebensmittel und Hygieneartikel sowie Windeln, aber einfach auch Finanzen, um in den ARCHEN jedem Kind auch im nächsten Jahr eine warme Mahlzeit zu ermöglichen.
Danke, Tobias, für Deine Antworten und Deine Zeit!
Das Gespräch führte Stefanie Schütte-Schneider, Freundeskreis Die ARCHE Hamburg e.V.